Session

Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz in der Luftfahrt

Termin:
Donnerstag 15.09.2022, 11:00 bis 12:30 Uhr
Dauer:
90 Minuten
Raum:
H 0.16
Sessionchair:
Prof. Ralf God
Insitut für Flugzeug-Kabinensysteme (TUHH)

Prof. Benedikt Kriegesmann
Insitut für Strukturmechanik im Leichtbau (TUHH)

Kurzbeschreibung

Die Luftfahrtindustrie mit ihren vielen Teilgebieten und Systemen kann sich der digitalen Transformation nicht entziehen. Entsprechend sind die in der Luftfahrt vorkommenden Einsatzbereiche für maschinelles Lernen (ML) und künstliche Intelligenz (KI) überaus vielfältig.
Neben vergleichsweise unkritischen Anwendungen wie z.B. in der Geschäftsanalytik und der Logistik rangieren hinsichtlich der Zuverlässigkeit und der Angriffssicherheit extrem sicherheitskritische Einsatzfelder, wie z.B. im Flugzeug und bei dessen Produktion. Im letzteren Fall existieren daher sehr anspruchsvolle Anforderungen hinsichtlich der Zulassbarkeit und Zertifizierbarkeit von ML und KI. In anderen Bereichen der Luftfahrt sind Methoden und Werkzeuge des ML und der KI heute schon mehr oder minder erfolgreich in der Erprobung und im Einsatz.
Die Vortragsreihe liefert einen ersten Ein- und Überblick zu Arbeits- und Forschungsthemen eines Flugzeugherstellers und eines Forschungsinstituts in den Bereichen Systementwurf, Geschäftsanalytik und Qualitätssicherung in der Produktion.

Vorträge

  • Forschung, Entwicklung und Nutzung von KI in der Luft- und Raumfahrt
    Gerd Büttner (Scientific Computing Architect & Roadmap Leader Data Processing, Fa. Airbus Operations GmbH)

    Auch in der Luft- und Raumfahrt erfolgt der digitale Wandel. Der verstärkte Einsatz von maschinellem Lernen (ML) und künstlicher Intelligenz (KI) in den Systemen nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Eine Besonderheit stellt in der Luftfahrt beispielsweise der Einsatz von KI in sicherheitskritischen Systemen des Flugzeug dar, bei denen ein Versagen weitest möglich ausgeschlossen werden muss. Entsprechend herausfordernd gestalten sich hier der Einsatz und die Zulassung bzw. Zertifizierung nach Luftfahrtrecht von sicherem ML und sicherer KI. Autonome Systeme in der Raumfahrt stellen ähnliche Anforderungen, da diese in jedem Fall vollständig autonom arbeiten müssen. Ein Zugriff zur Korrektur ist aufgrund der langen Signallaufzeiten (Latenz) nicht möglich und muss unter extremen Bedingung (tiefe Temperaturen, Weltall, ...) mit extrem geringem Energieaufwand funktionieren. Die Produktion und Logistik sind zwei andere wichtige Beispiele aus der Luftfahrt, bei denen ein streng deterministisches Systemverhalten nicht zwingend gefordert wird, so dass hier Methoden und Werkzeuge des ML und der KI heute schon eingesetzt werden. Insgesamt stellt so die Luft- und Raumfahrt, mit unterschiedlich hohen Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Systemen, auch sehr unterschiedliche Ansprüche an die Erklärbarkeit und Interpretierbarkeit und damit die Zulassung von ML und KI. Der Vortrag gibt einen Überblick über aktuelle Forschungs- und Anwendungsbereiche von ML und KI bei Airbus.

  • Maschinelles Lernen in der industriellen Praxis
    Sarah Andreas (Head of Data Analytics, Information Management - Advanced Analytics & AI, Fa. Airbus Operations GmbH)

    Maschinelles Lernen birgt enormes Potential, um Entscheidungen in allen Bereichen eines Unternehmens zu unterstützen oder gar zu automatisieren.
    Bei Airbus machen Zeitreihen Daten einen wesentlichen Anteil der zur Verfügung stehenden Daten aus. Große Mengen an Zeitreihen werden beispielsweise von zahlreichen Sensoren in verschiedenen Flugzeug(sub)systemen aufgezeichnet. Deep Learning Modelle können aus diesen Daten normales Verhalten eines Sensors erlernen. In Anwendungen können solche Modelle zur Detektion von Anomalien genutzt werden oder um virtuelle Sensoren zu simulieren.
    Gerade im industriellen Umfeld tun sich jedoch viele Firmen schwer, dieses Potential in Mehrwert umzusetzen. Im Vortrag werden an Beispielen, wie dem obigen, die Herausforderungen aufgezeigt, ML Projekte erfolgreich in der industriellen Praxis umzusetzen.

  • Nachhaltige Effizienzsteigerung der Strukturmontage durch den Einsatz von ML-Methoden bei semi-automatischen Bohrprozessen
    Wolfgang Hintze, Denys Romanenko, Malte Flehmke (TUHH)

    Flugzeugstrukturen werden hauptsächlich durch Niete gefügt. Bei einem Flugzeug mittlerer Größe können dafür über 250.000 Nietbohrungen notwendig sein, von denen rund ein Drittel durch semi-automatische Bohrvorschubeinheiten (BVE) gefertigt wird, ein weiteres Drittel durch handgeführte Bohrmaschinen. Diese Arbeiten erfordern heute aufwendige nachträgliche Kontrollen, da das Bedienpersonal kaum durch Systeme zur Prozessüberwachung oder inline-Qualitätssicherung unterstützt wird.
    Zur Effizienzsteigerung der Strukturmontage besitzen semi-automatische Bohrprozesse ein hohes Optimierungspotenzial. Für diese Anwendung werden deshalb zuverlässige und effiziente, auf maschinellem Lernen (ML) basierende Methoden für die Vorhersage der Prozesszustandsgrößen vorgestellt. Zur Datengenerierung wurden in realer Versuchsumgebung die Prozesszustände variiert und die Daten interner Sensorik der elektronischen BVE in Form von Motorströmen und Schwingungssignalen aufgenommen. Diese Datenbasis wurde verwendet, um unterschiedliche Datenvorverarbeitungs- und ML-Methoden für die Vorhersage relevanter Prozesszustandsgrößen zu vergleichen. Hierzu zählen u.a. Werkstückmaterial, Werkzeugdrehzahl, Vorschub, Peck-Feed Amplitude sowie Schmierungszustand. Die Datenvorverarbeitung geschah beispielsweise durch sequentielle Auswahl charakteristischer Sensordatenfeatures und Hauptkomponentenanalyse. Zu den eingesetzten ML-Modellen gehören z.B. die "K-Nearest-Neighbour"-Methode, die Diskriminanzanalyse und Support Vector Machine.
    Als Ergebnis konnten Prozesszustände identifiziert werden, die sich zuverlässig überwachen lassen. Hierzu wurden optimale Kombinationen aus Datenvorverarbeitungsmethoden und ML-Modellen untersucht und bewertet. Damit wurden wesentliche Grundlagen geschaffen, um Betriebsmittel effizienter ausnutzen, Ausschuss und Nacharbeit vermeiden sowie nicht wertschöpfende Prüfaufwände in der Strukturmontage eliminieren zu können.